Irmtraud Schaarschmidt-Richter

Mit Haiku Glück zu wünschen und zu gedenken

 

Die Graphiken, die hier als „Surimono Drucksachen“ – Glückwunsch- und Gedenkdrucke – vorgestellt werden, sind von besonderer Art und in unseren Breiten noch wenig bekannt. Zunächst wirken sie eher wie Zeichnungen und nicht wie Drucke, auch überwiegt oft sehr deutlich der Text. In unendlich scheinender Zahl sind auf einigen Blättern Gedichte, zumeist Haiku oder Kyôka (Scherzgedichte), blockartig aneinandergereiht.

Was man bisher unter Surimono verstand, die auch in europäischen Sammlungen auftauchten, sind prächtig ausgestattete Vielfarbendrucke. Sie stehen den Ukiyo-e-Holzschnitten sehr nahe und sind uns deshalb schon vertraut, denn es gibt wohl keine Gattung der japanischen Kunst, die weltweit so berühmt ist wie die Farbholzschnitte Ukiyo-e, Bilder der fließenden, der vergänglichen Welt. Damit bezeichnete man die Mitte des 18. Jahrhunderts sich entwickelnden Vielfarbendrucke, die sich in breiten Kreisen bis in die unteren Schichten großer Beliebtheit erfreuten. Hervorgegangen aus der Buchillustration, kann man diese Drucke als die Gebrauchsgraphik der Edo-Zeit (1603-1868) bezeichnen. Ihre Hauptthemen waren Mode, Theaterplakate und Schauspielerporträts, schöne Damen, zumeist Kurtisanen, später dann auch die berühmten Landschaften, meist in Serien, die berühmten Gärten, berühmte Plätze in Miyako (Kyôto), gewissermaßen Reiseführer, Reiseprospekte. In künstlerischer Gestaltung und Drucktechnik aber sind diese Blätter so perfekt, daß man sie im Ausland für die eigentliche Kunst Japans hielt. Daß sie das natürlich nicht sind, wird sofort deutlich, wenn man sich den Reichtum an Malerei jener Epoche in ihren vielen verschiedenen Formen vor Augen führt, so die monumentale Wandschirmmalerei, die teilweise Zen-bestimmte Tuschmalerei, abstrahierend und expressiv, auch die Schreibkunst oder die elegante Nanga- oder Literaten-Malerei.

Nur auf einem solchen Untergrund jedoch konnte eine Gebrauchsgraphik von diesem hohen Niveau entstehen. Die Edo-Zeit war günstig für eine solche Entwicklung. Nachdem Tokugawa Ieyasu (1542-1616) die Toyotomi-Familie, Nachkommen Toyotomi Hideyoshis (1536-1598), des ersten Einigers des Reiches, und ihre Anhänger in zwei großen Schlachten – 1600 bei Sekigahara und 1615 durch die Eroberung der Burg Ôsaka – vollständig ausgeschaltet hatte, konnte Ieyasu das bis 1867 andauernde Tokugawa-Shogunat errichten, das alle kriegerischen Handlungen unmöglich machte und dem Land einen 250 Jahre andauernden Frieden sicherte. 1603 war Ieyasu vom Tennô zum Shôgun ernannt worden und hatte den Regierungssitz auf seine Lehnsburg Edo – heute der Kaiserpalast – verlegt. Rund um diese entwickelte sich dann schon bald eine große, sehr lebendige Stadt, die ebenfalls Edo hieß und 1868 in Tôkyô, das heißt „Östliche Hauptstadt“, umbenannt wurde. Durch kluge Lehens- und Familienpolitik sicherte sich Ieyasu eine Hausmacht, errichtete eine komplizierte Zentralregierung mit strengem Ständesystem, das zwar durchaus durchbrochen werden konnte, aber für stabile soziale Verhältnisse sorgte, und er sicherte den Außenhandel. Erst als die christlichen Missionare, die auch Handel trieben, zu einem politischen Problem wurden, setzte eine Christenverfolgung ein. 1633 wurde das erste von mehreren Abschließungsedikten erlassen, die den Japanern Reisen ins Ausland verboten und keine Fremden mehr einließen. Für ein Volk, das schon seit alter Zeit das Reisen liebte, für viele kulturelle Dinge, die von außen kamen, offen war, muß dies ein großes Problem gewesen sein. Aber das bewirkte nun nicht etwa eine kulturelle Austrocknung, sondern eher das Gegenteil. Alle Aktivitäten, alle kulturellen Energien wandten sich nun nach innen. Der Handel blühte, das Handwerk brachte wahre Kunstwerke hervor, und die Malerei jener Zeit hatte Dutzende von großen Namen aufzuweisen. Man pflegte die alten Traditionen und entwickelte neue, an denen eine breite Bürgerschicht teilhatte: Theater, Musik, Literatur; Dichterklubs entstanden, die Dichter„sessions“, wo unter anderem das „Kettendichten“ stattfand. Auch so subtile Dinge wie Räucherwerk-Wettkämpfe, die schon in der Literatur der Heian-Zeit (794-1185) geschildert werden, waren weiter beliebt, wie auch gemeinsame Mondbetrachtungen oder das den Sommergrillen Lauschen – was übrigens in einem Park in Tôkyô-Mukôjima, berühmt für seine Hagi-Blüten, noch heute veranstaltet wird. Dann die Freudenviertel: Die großen Kurtisanen waren hochgebildete Damen, selbstverständlich auch die Geishas, die „Kunstpersonen“ zur Unterhaltung. Kurz, es war eine Zeit der kulturellen Hochblüte auf breiter Basis.

Für unser Thema bedeutsam waren vor allem die zahlreichen Dichterzusammenkünfte, die Dichterklubs. Sie waren bunt gemischt aus allen Schichten, professionelle, sogar berühmte Dichter konnten dabei sein, die dann auch die Amateure unterrichteten. Bauern, Bürger, Handwerker, sie kamen aus allen Berufen. Zwar erforderte eine solche Zusammenkunft eine gewisse, wohl nicht ganz billige Ausrüstung, Tischchen vor allem für den Kritiker und die nötige Bewirtung. Es tat der Sache aber keinen Abbruch, wenn der Einladende das nicht besaß – dann borgte er es sich eben. Der oben erwähnte Park in Tôkyô-Mukôjima, Hyakka-en, Park der Hundert Blumen, war für diese Zusammenkünfte ein besonders beliebter Ort. Er liegt etwas am Rande der geschäftigen Großstadt, in der Nähe des Sumida-Flusses. Zahlreiche schöngeformte Felssteine, stelenartig aufgerichtet mit eingemeißelten Gedichten legen Zeugnis ab von seiner Beliebtheit als Versammlungsort der Dichter.

Daß sich auf diesem so reichen und ausgedehnten kulturellen Nährboden auch eine Glückwunschkultur entwickelte, ist nicht weiter verwunderlich. Es war – und ist heute noch – eine gesellschaftliche Notwendigkeit, sich Glück zu wünschen, und das zu vielerlei Gelegenheiten, vor allem zu Neujahr, einem der wichtigsten festlichen Anlässe im japanischen Jahresablauf. Man wünschte Glück natürlich auch zum Knabenfest am 5. Tag des 5. Monats sowie zum Herbstanfang. Oder man erinnerte an bestimmte Ereignisse, zum Beispiel den Todestag des berühmten Haiku-Dichters Bashô, wie auch an gemeinsame Reisen. Das alles ließ sich auf die Dauer nicht allein mündlich bewältigen. Daher mußten Glückwunschblätter entworfen werden, die man drucken ließ, sogenannte Suri-mono – „Druck-Sachen“ – die man dann verteilte oder verschickte.

Die Drucke kann man grob in zwei Kategorien einteilen. Privatdrucke waren es immer, der Unterschied liegt im Stilistischen. Die eine bereits eingangs erwähnte Form kommt den eigentliche Ukiyo-e-Holzschnitten sehr nahe. In dieser Ausstellung sind sie allerdings nicht vertreten. Sie zeigen häufig szenische Motive, ganze Theaterszenen, schöne Damen in häuslicher Umgebung, aber auch Tierkreiszeichen oder Pflanzen, die auf Neujahr anspielen, Kiefern, Pflaumenblüten oder das gelbe Adonisröschen. Die beliebten Stilleben erscheinen als eine Anhäufung von interessanten, beziehungsreichen oder symbolischen Gegenständen. Alle diese Motive sind so elaboriert, ja fast üppig dargestellt, manchmal mit Gold oder Silber oder auch durch Prägedruck akzentuiert, daß man sie als prächtig, ja sogar als manieriert bezeichnen möchte; jedenfalls wirken sie äußerst luxuriös. Nur wohlhabende Bürger konnten sich so etwas leisten. Sie beauftragten für solche Drucke, oft nach eigenen Ideen, einen bedeutenden Holzschnittmeister – Hokusai zum Beispiel hat sehr viele Glückwunschblätter entworfen – und ließen sie in nur kleinen Auflagen herstellen, um sie zu verschenken. Diese Surimono waren also nicht verkäuflich. Von den übrigen Ukiyo-e-Drucken unterschieden sie sich eigentlich nur dadurch, daß sie etwas mehr Raum für die begleitenden Gedichte ließen, die in das Bild über oder um die Figuren eingeschrieben wurden. Häufig waren es ein oder zwei Gedichte, manchmal auch drei bis vier. Meist fertigten die Auftraggeber sie selbst an, die ja literarisch geschult waren und oft zu den Dichterklubs gehörten. Sie bevorzugten Scherzgedichte, eben die erwähnten Kyôka, die auf den klassischen Tanka basieren, einer schon in frühester Zeit beliebten Kurzgedichtform mit 31 Silben in fünf Versen. Als Schrift bediente man sich häufig einer sehr kursiven Silbenschrift, gemischt mit wenigen Schriftzeichen, wie sie im 9. Jahrhundert entwickelt worden war, die aber in der Edo-Zeit durch enge Aneinanderreihung und zahlreiche kleine Kurven und Schlingen etwas manieriert Kompliziertes erhalten hatte und deshalb heute besonders schwer zu lesen ist.

In der zweiten Kategorie, sie ist es, die hier präsentiert wird, bekommt das Gedicht sogar das Übergewicht, was sich schon im besonderen Namen dieser Gattung der Glückwunschdrucke ausdrückt: Haiku ichimai Surimono, das heißt „Haiku-Einblatt-Drucksache“. Das bedeutet wohl, daß auf einem Blatt mehrere Haiku abgedruckt sind. In der Tat sind hier viele Haiku Zeile für Zeile nebeneinander aufgereiht, am Schluß gefolgt von dem Zeichen des Autors. Das dazugehörige Bild ist keine Illustration, auch nicht unbedingt eine skizzenhafte Ergänzung oder gar Interpretation des Haiku im Sinne des Haiga. Das heißt, es bringt nicht immer, wie im Haiga, das zum Ausdruck, was nicht explizit im Gedicht steht, aber gemeint ist. Die Bilder der Haiku ichimai Surimono haben manchmal etwas Vignettenartiges, oder sie sind Hinweise auf den Anlaß des Glückwunsches, manchmal lediglich Schmuck. Trotzdem erinnern sie doch an diese Haiga in ihrem Witz, ihrem unmittelbaren Ausdruck und ihrer scheinbaren Spontaneität. Diese textreichen Drucksachen sind ohne Zweifel literarischer als die prächtigen Surimono der Wohlhabenden.

Mit der allgemeinen Verbreitung des Druckens begann die eigentliche Entwicklung dieser Form der Glückwunschdrucke. Jedermann konnte sich solche Surimono leisten. Hauptsächlich waren es natürlich die Städter, Kaufleute, Handwerker wie Zimmerleute, Dachdecker, Gärtner, daneben ebenso Frauen und junge Mädchen oder junge Leute, aber auch Bauern. Alle Schichten, alle Altersgruppen beschäftigten sich damit. Denn so gut wie jeder war ja irgendwie in der Lage, Gedichte zu schreiben. Die Bürger besaßen ein solches Maß an Bildung, daß sie mit Dichtung, Malerei und Graphik wohl umzugehen wußten. Man bestellte bei einem Meister eine Bildvorlage oder entwarf sie auch selbst, um diese Blätter dann mit möglichst vielen Haiku zu versehen. Natürlich waren die Auflagen auch dieser Haiku-Einblatt-Drucke nicht hoch und ebenfalls nicht zum Verkauf bestimmt.

Die ersten Haiku-Surimono entstanden bereits Mitte des 18. Jahrhunderts, zuerst in Schwarzdruck, bis sich auch hier der Vielfarbendruck durchsetzte. Als Gedichte verwendete man gelegentlich Werke berühmter Meister, vor allem aber eigene Haiku und versah sie stets mit dem Zeichen der Verfasser. Mitunter hatten diese Drucke, besonders in der Anfangszeit, Kalenderfunktion, wobei die Monatszeichen in das Bild eingefügt waren. Aus Zeichen und Bild konnte man dann die Kalenderdevise erkennen. Als Gedichtform waren neben den Haiku auch die bereits erwähnten Scherzgedichte beliebt.

Die Haiku-ichimai-Surimono sehen ganz anders aus als die Ukiyo-e-artigen Surimono in ihrer Üppigkeit. Sie wirken heiter, wie mit leichtem Pinsel hingesetzt, oft witzig, ja ironisch, so daß man sich tatsächlich manchmal an Haiga erinnert fühlt. Sie sind darüber hinaus so raffiniert gedruckt, daß man einige für Originale halten könnte. Dabei kamen auch hier die verfeinerten Drucktechniken wie der Prägedruck zur Anwendung, Applikationen von Gold oder Silber, auch anderen Metallen, in Linien oder als aufgestreutes Pulver. Als Entwerfer tauchen – wie auch in dieser Ausstellung – eine Reihe bekannter Künstler auf, zum Beispiel Tani Buncho¯ (1763-1840). Er hatte sowohl die Literatenmalerei (Malerei in Tusche und leichten Farben, Nanga) und verschiedene andere japanische Stile sowie westliche Malerei studiert und daraus schließlich seinen eigenen Landschaftsstil gestaltet. Er ist auch im Westen nicht unbekannt. Ein anderer war Suzuki Ki’ichi (1796-1858), der interessante Wandschirmgemälde hinterließ. Der hier am häufigsten auftretende Künstler ist Shibata Zeshin. Zwar hatte er auch Malerei studiert, ist aber vor allem als Lackmeister berühmt. Basierend auf der alten Streulacktechnik (Maki-e) entwickelte er eine strukturreiche Oberfläche aus dem Kontrastieren von matt und glänzend, von planer Fläche und Relief. Als Lehrer verschiedener Surimono-Designer wird Sakai Hô’itsu (1761-1828) öfters genannt. Er war einer der letzten Großen der Rimpa-Schule, die mit ihren großzügigen Wandschirmbildern die japanische Moderne heraufführen half. Daß sich solche bedeutenden Künstler mit dieser Surimono-Graphik beschäftigten, zeigt, daß diese nicht nur eine gesellschaftliche Nebensache war, sondern wichtiggenommen wurde.

Der Charme und die Bedeutung dieser Blätter, mögen sie nicht immer große Kunstwerke sein, besteht aber in ihrer mitunter raffinierten, ja kühnen Gestaltung von gewisser Freiheit, wie man sie in den Ukiyo-e-Surimono so nicht oder nur selten findet. Da ist zum Beispiel der Hahn auf dem Torii-Tor. Die Balken des Torii sind nur mit je einem dicken Pinselstrich gegeben, die dem Blatt eine deutliche Monumentalität verleihen. Die Lotosknospe mit fast übertrieben langem Stiel über eine Buchkassette gelegt, hat schon etwas Modernes. Vor allem aber sind es die für Glückwunschdrucke eigentlich ungewöhnlichen Themen, welche die Blätter dieser Sammlung so reizvoll machen: Neben den üblichen Blumenmotiven, den Vögeln und Tierkreiszeichen, den Landschaften und Glückssymbolen erscheinen häufig Szenen aus dem Alltag gewöhnlicher Leute. Sie sind oft so witzig dargestellt, daß sie manchmal sogar das Karikaturistische streifen. Mit nur wenigen Pinselstrichen, oft fast nur skizzenhaft hingesetzt, sind sie gerade in diesen Linien sehr ausdrucksstark, ohne expressionistisch zu sein. Sie verleihen den Motiven eine außerordentliche Realität, daß man die Atmosphäre der Szene zu spüren scheint, meint, die Figuren sich bewegen zu sehen, sie zu hören. Außerdem kann man durch sie eine Menge über den japanischen Alltag jener Zeit erfahren. Eines in dieser Hinsicht interessantesten Bilder ist gewiß die Familie an der Feuerstelle, über der ein großer Kessel hängt. Der Hausherr im dunklen Überkimono scheint vor sich hinzudösen. Rechts von ihm sitzen drei weitere männliche Gestalten, einer davon gewiß ein Mönch, lediglich durch zwei kleine Striche im Nacken und die etwas abstehenden Ohren so intensiv charakterisiert, daß man sich schon das Gesicht dazu vorstellen kann. Er beugt sich ein wenig zur Seite, wie um wohl die etwas aufdringliche Rede seines Nachbarn abzuwehren. Am köstlichsten aber sind die beiden Frauen, eine davon an einem Tischchen mit irgend etwas beschäftigt, während die andere äußerst kritisch zuschaut. Diese Kritik oder Skepsis ist nur durch die Stellung der Augenbrauen zu den Augen und dem kleinen Mund ausgedrückt, und diese sind ebenfalls nicht mehr als kleine einzelne Striche, fast nur Tupfer. Japanischen Malern, in Linienkunst geschult, gelingt es schon seit alter Zeit sehr oft, durch ganz sparsame Mittel, Linien, Konturen, ein Optimum an Ausdruck und Lebendigkeit zu erzielen.

Wie aus dem Titel dieser Gattung schon hervorgeht, waren die Gedichte, Haiku oder Kyôka, das Wichtigste. Manchmal stellte man ein einzelnes Gedicht in sehr lockerer Schrift mit der üblichen gestuften Zeilenbrechung in den Zusammenhang mit dem Bild oder leitete die breiten Kolumnen damit ein, denn oft begnügte man sich nicht mit einem einzelnen Gedicht, sondern reihte, noch einmal sei darauf hingewiesen, unzählige aneinander, jedes als eine Zeile mit dem Schriftzeichen des Verfassers am Ende. Manchmal benutzte man Zitate berühmter Dichter, häufig aber eigene oder von Freunden verfaßte Verse. Daraus ergaben sich ganze Schriftflächen mit bündiger Ober- und Unterkante. Aber es gibt auch Blätter, auf denen diese gewisse Starrheit im Schriftspiegel aufgebrochen wurde, indem man wie bei dem Bild der Blütenschaugesellschaft Bild und Schrift noch enger in Beziehung setzte. Während der erste Block noch bündig erscheint, wurde der zweite, größere Teil, diagonal verschoben und sogar zweimal abgesetzt, was eine gewisse Stufung ergab. So ist das kleine Bild der drei, gerade wohl überlegenden, Dichter von der Schrift regelrecht eingerahmt. Besonders interessant ist das Blatt mit dem Zug eines Fürsten. Hier wurden die Diagonalverschiebungen geradezu perspektivisch vorgenommen, so daß zwischen den Textkolumnen Räume entstanden, in die hinein sich das Bild fortsetzt.

Wenn man nun ein solches Konvolut von Glückwunschblättern betrachtet, fällt auf, daß die Formate sehr unterschiedlich sind. Wohl geht man von einem gewissen Standardmaß aus, zum Beispiel 39 mal 55 cm, die man dann, wie bei den Ukiyo-e, in Halb-, Viertel- oder Achtelformate einteilen kann, bis zur Postkartengröße. Aber man benutzte auch Formate darüber und darunter, so von 70,5 mal 84 cm bis zu 10 mal 4 cm. Außerdem wählte man als Papierform gern die des Fächers. Das heißt, das Papier wurde in Fächerform zugeschnitten, doch keine Stäbe eingezogen. Oder man zeichnete Fächer auf ein Blatt und schrieb in sie die Gedichte. Es gab also keine Notwendigkeit, sich an bestimmte Formate zu halten, den individuellen Vorlieben waren so gut wie keine Grenzen gesetzt.

Zum Verschenken wurden diese Glückwunschblätter meistens in einen Umschlag gesteckt und dafür so gefaltet, daß beim Herausziehen das Bild zuerst zum Vorschein kam. Daraus ergab sich manchmal, daß Bild und Text sich Kopf gegen Kopf gegenüberstehen. Auf den Umschlag wurde gelegentlich auch der Titel gedruckt. Zusätzlich konnte man darauf auch ein kleines ausgeschnittenes festeres Papier kleben, auf das der Präsentierende, der Schenkende also, mit schwarzer Tusche seinen Namen schrieb.

So unterschiedlich wie die Formate sind auch die für die Surimono verwendeten Papiere. Das reicht von hauchdünnen Papieren bis zu solchen von leichter Kartonstärke, immer aber sind sie von guter Qualität. In Ostasien, in China, Korea, Japan, spielt das Papier seit seiner Erfindung Anfang des 2. Jahrhunderts in China, eine große Rolle und wird noch heute hochgeschätzt. In Japan taucht es wohl schon im 3. Jahrhundert auf. Das Schöpfen von Papier ist als Handwerk, ja Kunsthandwerk noch längst nicht ausgestorben. Papiermeister können sogar zum Lebenden Staatsschatz avancieren. Bündel über 1300 Jahre alter, schöner Papiere werden noch heute im Schatzhaus des Tôdaiji-Tempels in Nara, dem Shôsô’in aufbewahrt. Andere waren Anlaß für berühmte Literatur, wie zum Beispiel das „Kopfkissenbuch der Hofdame Sei Shônagon“, die ein solches Bündel von der Kaiserin geschenkt erhielt mit der Aufforderung, etwas darauf zu schreiben.

Betrachtet man nun die Beispiele dieser japanischen Glückwunsch- und Gedenkdrucke unter kulturhistorischem Gesichtspunkt, wird deutlich, daß sie durch die außerordentlich hohe Qualität der Gestaltung von Bild und Text ein beredtes Zeugnis ablegen für das hohe Niveau einer breiten bürgerlichen Kultur der Edo-Zeit, die auch in die Meiji-Zeit (1868-1912), ja in das 20. Jahrhundert hineinreicht.

Unabhängig davon, ob es sich nun um Kunstwerke oder eine heitere Spielerei handelt, vermittelt diese Ausstellung, wie schon betont, einmal einen Einblick in das ganz gewöhnliche, aber doch von hohem kulturellen Niveau bestimmte, japanische bürgerliche Leben der späten Edo- und Meiji-Zeit, und zum anderen sind sie Beispiele einer ausgezeichneten Drucktechnik, die den Ruf Japans als Land der exzellenten Druckkunst auf breiter Basis nur festigen können.

 

Zurück zum Seitenanfang